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ORTSGESCHEHEN

Ansprache des Pfarrers zum Neujahrsempfang 2007

"Im Quiz eines Fernsehsenders wurde die Frage gestellt: Wie heißt der Kaiser, der 1391 im Winterlager zu Ankara mit einem gebildeten Perser über Christentum und Islam und beider Wahrheit führte? Wenn man schon den Namen nicht weiß, so weiß man doch, dass diese Frage mit der berühmten Vorlesung von Papst Benedikt XVI. an seiner ehemaligen Regensburger Universität zusammenhängt. Sie stand unter dem Titel: "Glaube, Vernunft, Universität. Erinnerungen und Reflexionen". Diese Vorlesung hatte seine wohl allen bekannten Auswirkungen. Gott sei dank wendete sich das Blatt zu einem fruchtbaren, ich möchte sagen, überfälligen Dialog, wie ich ihn nicht erwartet hätte. Denn die Vernunft hat Partei ergriffen.
Damit bin ich bei meinem Thema: der Vernunft. Ich bin dabei auf einen Artikel von Kardinal Joseph Ratzinger in meinen Unterlagen gestoßen, unter der Überschrift: Demokratie, Pluralismus, Christentum, 1984 in München gehalten und von Radio Vatikan ausgestrahlt. Es geht um die Vernunft in unserer Gesellschaft. Warum ich dieses Thema "Vernunft" wählte: Mir scheint, dass der Vernunftbegriff in unserer gesellschaftlichen Entwicklung beschnitten worden ist, ja um eines wesentlichen Aspektes beraubt worden ist:
Bischof Kamphaus schrieb einmal in einem Artikel für eine Zeitung: "Eine Frage industrieller Gesellschaften besteht darin, dass instrumentelle und sinnstiftende Vernunft auseinanderklaffen." Die Verknüpfung von wissenschaftlich-technischem Fortschritt und Marktwirtschaft ist zum zentralen Motor nicht nur ökonomischer, sondern auch politischer, sozialer und kultureller Veränderung geworden. Dies ist zunächst auch positiv zu werten, weil ja dieser Fortschritt etwa in der Medizin uns viel gebracht hat.
Immer mehr, immer besser, besser als die anderen, was machbar ist, soll gemacht werden – diese Einstellung prägt aber auch immer mehr alle Lebensbereiche und hat Moral- und ethische Vorstellungen verdrängt, die eigentlich von anderen Voraussetzungen her leben. Hier scheint das Problem zu liegen. Ich will das an einem Beispiel deutlich machen: Gesundheit erscheint in der Politik reduziert auf das Thema Gesundheitsreform, wobei es nicht um die Gesundung des Menschen geht, sondern die Gesundung der Finanzen.
Oder: Gut verdienende börsennotierte Unternehmen fahren Rekordgewinne ein und sprechen im nächsten Atemzug von notwendigem Personalabbau, um konkurrenzfähig zu bleiben, niemand spricht von der wirtschaftlichen Leistung der und der Verantwortung für MitarbeiterInnen in den Klein- und Mittelbetrieben. Was vernünftig ist, wird durch wirtschaftlich bestimmte Gründe bestimmt. Und gerade hier setzt das Denken von Joseph Ratzinger und jetzt Papst Benedikt an: Vernunft hat mit einer Dimension zu tun, die in Gott liegt, Vernunft darf nicht reduziert werden auf das Machbare, auf Erfolg, auf eine perfekte Gesellschaft mit immer perfekteren Mitteln. Sonst fallen alle durch, die nicht diesem Ideal entsprechen.
Hier liegt die Aufgabe der Religionen als kritisches Korrektiv, wie es auch Jesus praktiziert hat. Es geht um die Zuordnung von Christentum und pluralistischer Demokratie. "Niemand bestreitet bei uns dem Christentum das Recht, ähnlich wie die verschiedensten gesellschaftlichen Gruppen seine Wertvorstellungen zu pflegen und seine Lebensformen zu entwickeln, das heißt als eine gesellschaftliche Kraft unter anderen zu wirken", so 1984 Kardinal Ratzinger. Aber er sagt dann ganz deutlich, dass dieser Rückzug ins Private dem Wahrheitsanspruch des Glaubens widerspricht, der als solcher ein Öffentlichkeitsanspruch ist.
Als Papst ergänzt er an dieser Stelle, dass dieser Wahrheitsanspruch niemandem aufgezwungen werden kann und soll. Der Islam, der Koran sagt ja, dass er für das Leben des Menschen unbedingte Gültigkeit hat, damit auch für den Staat, die Gesellschaft. Was sagt nun der christliche Glaube? Die Angelegenheit hat zwei Seiten: Wenn Kirche den Anspruch aufgibt, in die Gesellschaft, den Staat hineinzuwirken, gibt sie sich selbst in ihrem Selbstverständnis auf, sie gibt dann auf, dass Glaube und Vernunft etwas miteinander zu tun haben. Wenn der Staat aber das Angebot der Kirchen annimmt und es zu seiner das gesellschaftlich bestimmenden Norm macht, wie etwa in islamistischen Staaten, dann hebt er sich in seiner Pluralität auf. Das wollen wir aber auch nicht.
Wir stehen in einem Dilemma: Freiheit des Staates, Freiheit der Kirche. Um eine Balance des Verhältnisses von Staat und Kirche ist in der Geschichte immer wieder gerungen worden. Der Staat muss anerkennen, dass er als Voraussetzungen seines Bestehens auch ein Grundgefüge von christlich fundierten Werten hat. Diese sind ja vernunftgemäß, und der Staat kann doch nicht nur "Vernunft" auf das Zweckmäßige reduzieren. Er muss seinen historischen Ort erkennen, den Erdboden, von dem er sich nicht gänzlich lösen kann, ohne zu zerfallen.
Die Gesellschaft muss lernen, dass es einen Bestand von Wahrheiten gibt, der nicht dem Konsens unterworfen ist, sondern ihm vorausgeht und ihn ermöglicht. Dazu Beispiele: Ältere, kranke Menschen, behinderte Menschen, auch Kinder, werden dann zur Last, wenn sie nicht mehr den ökonomischen Gesichtspunkten von Gesellschaft entsprechen. Ältere Menschen werden zu Nutzern der Krankenkassenbeiträge, Eltern mit behinderten Kindern zu Versagern, die die technischen Möglichkeiten der Vorsorgeuntersuchung nicht genutzt haben. Eltern mit Kindern entdeckt man zur Zeit nicht aus Gründen des Wertes Kind, sondern aus statistischen Gründen: der Alterspyramide und den damit in Zukunft negativen wirtschaftlichen Folgen für die Rentenversicherung.
Alles wird mit der Brille des Wertesystems der Brauchbarkeit für die Gesellschaft gesehen und verkauft unter dem Aspekt, dass der Mensch vom Ideal abweicht. Hier setzt die Glaubensvernunft an. In seinem Artikel von 1984 sagt der damalige Kardinal Ratzinger: "Die eigentliche Gefahr unserer Zeit, der Kern unserer Kulturkrise, ist die Destabilisierung des Ethos, die darauf beruht, dass wir die Vernunft des Moralischen nicht mehr begreifen können und Vernunft auf das Berechenbare reduziert haben."
Aber: Das Geistige darf nicht dem Quantitativen untergeordnet werden. Das Moralische darf nicht in den privaten Bereich abgedrängt werden, also gleichsam als öffentliche Kraft formell abgeschafft werden. Moralische Vernunft müssen wir wieder als Vernunft erlernen. Man kann sagen: der Staat kann nicht aus sich allein leben, jede Gemeinschaft braucht Unverzichtbares, das nicht im eigenen Bereich angesiedelt ist. Wenn der Staat völlig auf diese außer seiner liegenden Werte, die vernunftgemäß sein müssen, verzichten würde, müsste er sich seine Werte selber schaffen. Der Staat, die Mehrheitsverhältnisse sagen, was wichtig ist.. Wohin das führen kann, lehrt unsere Geschichte. Morden und Töten wurde zur neuen Norm. Der Wertekanon abendländischer Ethik wurde in sein Gegenteil verkehrt, moralische Haltung wurde zur Ausnahme.
Es braucht also dem menschlichen Handeln vorausgehenden Normen und Werte, solche, die unserem Zugriff entzogen sind und dennoch vernünftig sind, eine moralische Erziehung, die für die Entwicklung und für das Überdauern gerechter Gesellschaften grundlegend ist. Es muss Unverzichtbares geben, das nicht im politischen Bereich angesiedelt ist. Staat, Gesellschaft, ihr Bestreben, Gerechtigkeit zu schaffen, also das Machbare, muss wieder einhergehen in balancierender Zuordnung zu ihr vorausgehenden und ihrer nicht verfügbarer Werte wie die Würde des Menschen.
Wir müssen uns zum Beispiel auch anfreunden mit der Unvollkommenheit der menschlichen Dinge. Kardinal Ratzinger sagte 1984: "Ich denke, wir müssen uns heute mit aller Entschiedenheit wieder klarmachen, dass weder Vernunft noch Glaube irgendwo uns verheißen, dass es einmal die perfekte Welt geben wird.... Für den Fortbestand und die Entwicklung eines menschenmöglichen Maßes an Gerechtigkeit ist es dringend, den Mut zur Unvollkommenheit und die Erkenntnis der stetigen Gefährdung der menschlichen Dinge wieder zu erlernen." Von einem Münchener Professor gibt es die Aussage: "Das Mögliche ist das Meiste". (Schöllgen).
Man könnte in der Handlungsmoral auch davon sprechen, dass das kleinere Übel dem größeren vorzuziehen sei. Zusammenfassend: "Nicht vernunftgemäß handeln, ist dem Wesen Gottes zuwider." Insofern kann eine Gesellschaft das Göttliche und die Religionen nicht ausblenden oder in den Bereich der Subkulturen oder des Privaten abdrängen, weil sie sonst die Universalität der Vernunft beschneiden würde.
Konkret können wir zum Abschluss dies festmachen an unserem Sonntag, an den Feiertagen: Der Staat braucht öffentliche Zeichen dessen, was ihn trägt. Sonn- und Feiertage sind solche öffentlichen Markierungen. Es geht nicht darum, wie viele Menschen am Sonntag in die Kirche gehen - auch wenn das erfreulich ist, wenn viele gehen - und daran kann ich auch nicht festmachen, ob der Sonntag arbeitsfrei sein muss. Es geht um mehr: Dass der Mensch nicht reduziert wird auf eine verfügbare Masse einer Argumentation, die zum Beispiel vom Gedanken der Globalisierung her vernünftig ist, sogar einsehbar, aber damit Vernunft reduziert auf wirtschaftliche Erfordernisse.
Es gibt auch Gründe, die sich aus dem Gedanken der Vernunft ergeben, dass der Mensch noch einen anderen Wert, Mehrwert hat. In diesem Sinn brauchen wir eine Mehrwert des Menschlichen - Erhöhung.
Im übrigen: Es war der byzantinische Kaiser Manuel II. Palaeologos im Jahre 1391, der sagte: Nicht vernunftgemäß zu handeln, ist dem Wesen Gottes zuwider.
(Rede von Pfarrer Ebersberger beim Neujahrsempfang 2007 des Katholischen Pfarrverbandes)

17.01.2007    |    Ihre Meinung dazu...    |    nach oben    |    zurück

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